"Endlich Zeit!"
Gerade weil der Rentenalltag von der Erwerbsarbeit befreit ist, kann das alltägliche Leben im Ruhestand spannend und abwechslungsreich sein, denn es lässt Platz für vielfältigste Aktivitäten, die den Bereichen Reproduktionsarbeit, Bildung und Unterhaltung zugeordnet werden können.
Nicht selten fallen Tätigkeiten sogar in zwei oder in alle drei Kategorien. So kann beispielsweise das Kochen, das in der Regel der Reproduktionsarbeit zugerechnet wird, auch der Bildung dienen, dann, wenn man neue Techniken oder Rezepte erlernt, und es kann Spass machen und unterhaltend sein, wenn es als kreatives Hobby ausgeübt wird.
Ehemalige Berufsrollen, individuelle Interessen, körperliche Verfassung und die Art und Weise der Motivation - ob diese auf äusseren oder inneren Anreizen beruht - beeinflussen das Einteilen der Zeit und das Setzen von Prioritäten. Deshalb ist es kaum sinnvoll, darüber zu diskutieren, wie viel Zeit man für Reproduktionsarbeit, Bildung und Unterhaltung aufwenden sollte. Wichtiger ist, dass jeder Bereich den ihm gebührenden Stellenwert erhält, und dass die ausgewählten Aktivitäten persönlich sinnvoll sind sowie Zufriedenheit und Freude bringen.
Weil unsere Gesellschaft Freizeit allgemein mit Unterhaltung und Spass gleichsetzt, ist es eine Herausforderung, der Bildung einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Es ist wichtig, sie nicht zu vernachlässigen, da Bildung nicht nur zur persönlichen Bereicherung beiträgt, sondern auch dabei hilft, geistig aktiv zu bleiben. Darüber hinaus fördert sie die Neugier und das Verlangen, die Welt zu verstehen - Eigenschaften, die auch dann noch von Bedeutung sind, wenn körperliche Kräfte nachlassen. Wer geistige Aktivitäten pflegt, kann womöglich selbst im hohen Alter eine tiefe Zufriedenheit und Lebensqualität erfahren.
Ausserdem ist zu beachten, dass echte Zufriedenheit und Freude sich oft nur schwer einstellen, wenn man sich Aktivitäten hingibt, die mit Prestige verbunden sind, die man aus Langeweile tut, oder die man ausführt, weil es erwartet wird oder andere sie ebenfalls tun. Tiefere Zufriedenheit entsteht durch Tätigkeiten, die im Einklang mit einer sinn- und zielorientierten Lebensphilosophie stehen. Um mit den Worten von Kazuo Ishiguro zu sprechen: Letztendlich zählt, "Was vom Tage übrigbleibt".
Mein persönlicher Standpunkt
Ich denke, dass es Menschen, die eine sinn-und zielorientierte Lebensphilosophie haben, leichter fällt, ein zufriedenes und erfülltes Leben zu führen. Sie finden ausserdem eher Orientierung und Tiefe im eigenen Leben. Jede solche Lebensphilosophie braucht jedoch eine Quelle, aus der sie sich speist. Philosophie, Religionen und heilige Schriften können solche Quellen sein. Auch Kunst und Literatur können Reflexionsräume schaffen und daraus folgend ethische Überzeugungen sowie zwischenmenschliche Beziehungen fördern.
Leider haben die genannten Quellen in den letzten Jahrzehnten - zumindest in unseren westlich-individualistisch orientierten Gesellschaften - an Bedeutung verloren. Leistungs- und Prestigedenken, Masslosigkeit und Grossmannssucht haben auch unter bestimmten Renterinnen und Rentnern Oberhand gewonnen. Dies führt nicht nur dazu, dass Identität und gemeinschaftliche Ziele ins Hintertreffen geraten, es fehlen auch die wirklich wesentlichen Grundlagen, die Zufriedenheit und Freude fördern.
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