Meine fünfjährige DIY-Geschichte von Fanny
Am 3. November 2013 kam ich auf die Idee, aus den Begriffen „Krimi, Nacht, Zuhause“ eine Kurzgeschichte zu schreiben.
Ich poste diese Geschichte hier - fünf Jahre später - weil ich im November 2013 noch keinen Blog führte.
Bis dass der Wasserhahn geflickt wurde
Es war schon finstere Nacht, obwohl es erst gegen sieben zuging. Seit dem frühen Morgen hatte es ohne Unterlass geregnet und das Prasseln der Regentropfen an den Fensterscheiben mischte sich nun mit all den anderen abendlichen Geräuschen im Mietshaus. Der Staubsauger des kahlköpfigen Studenten im oberen Stock brüllte, die Waschmaschine der schwarzen Nachbarin trommelte und aus der Wohnung des schmächtigen Müllmanns im Parterre kamen Geräusche, wie man sie vom Herumzerren von Möbeln kannte. Und der Wasserhahn am Spülbecken tropfte. Schon fast ein Jahr tropfte er sein trauriges Lied. Fanny klaubte das letzte Kleidungsstück aus dem Rattan-Wäschekorb, legte es auf den Bügeltisch und strich es glatt. Es war Freitagabend. Und am Freitagabend bügelte Fanny. Das war schon immer so. Immer dann war Freitag, wenn die Möbel schleiften, der Staubsauger brüllte, die Waschmaschine trommelte und die Wäsche aufs Bügeln wartete. Früher da gab es noch den Freitagskrimi. Aber das war lange her.
Der Freitagskrimi war immer ein grosses Ereignis. Da sassen sie gespannt vor dem Fernseher, fieberten mit, rätselten, bekamen feuchte Hände, in welche sie klatschten, wenn sich am Ende die Lösung zeigte. Da gab es Wurstbrote, ein Glas Wein, viel Unterhaltung und Spannung. Und nach dem Krimi ging es kurzweilig weiter. Sie diskutierten über den Thriller, über die ganze Woche, über Gott und die Welt.
Ja, der Freitagabend war immer ein Ereignis. Fanny legt die karierte Bluse auf den kleinen Stapel Wäsche. Fertig. Früher, da dauerte das Bügeln viel länger und der Stapel war am Schluss um einiges höher. Da gab es Hemden, Hosen und Arbeitskleider. Aber das war lange her. Es blieben nur noch Fannys Blusen und Röcke, ihre Schwermut, ihre Verzweiflung, ihre Pein und ihre grenzenlose Einsamkeit in einem Haus voller Leben, Menschen, Geräusche, Gefühle und Gerüche.
Und der Wasserhahn tropfte sein trauriges Lied. Früher hätte sie den Hahn sofort geflickt. Aber früher war vorbei und jetzt machte alles keinen Sinn mehr. Der Duft von gerösteten Zwiebeln und Knoblauch kam durch das von ihr geöffnete Fenster. Fanny ging zum Fenster, um ihn auszusperren. Zwiebeln und Knoblauch, das hatte Karl gemacht; Ob im Salat, auf Nudeln, oder einfach nur auf frischem Brot. Eine kurze Weile blieb Fanny am Fenster stehen und schaute auf die Kreuzung, die nur etwa 100 Meter von ihrem Mietshaus entfernt war. Dort geschah es vor einem Jahr. Ein Lastwagen fuhr Karl an, als dieser mit seinem Fahrrad zum Einkauf wollte. Der Lastwagenfahrer hatte Karl übersehen und Fannys Mann hatte keine Chance.
Der Lastwagen überrollte Karl. Er musste nicht leiden, meinte der Arzt, aber Fanny glaubte ihm nicht so ganz. Und nun litt auch sie. Jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. Karl war nicht mehr und nicht nur die Wurstbrote und der Freitagskrimi fielen aus. Alles fiel aus.
Fanny schloss das Fenster und machte sich auf in die Küche ihres einfachen Zuhauses, als sie ein herzhaftes Klopfen an der Tür hörte. Fanny zögerte zuerst, schwenkte dann aber doch zum Eingang und schaute durch das halbblinde Guckloch. Draussen stand die Witwe aus dem dritten Stock mit einem kleinen Korb in der Hand. "Wie wäre es", fragte die Witwe, "wenn wir zwei uns zusammen den Freitags-Krimi anschauen würden?" Wir könnten den Wein und die Wurstbrote, die ich mitgebracht habe, dazu geniessen. Wir könnten rätseln, wer der Täter ist und wir könnten nach dem Krimi über den Thriller, über die ganze Woche, über Gott und die Welt diskutieren." Ein freudiges Lächeln huschte über Fannys verhärmte Züge. Sie nickte, bat die Witwe um Einlass und wusste genau in diesem Moment, dass nun etwas Neues begann. "Und morgen", sagte sie zu sich, "werde ich den Wasserhahn flicken."
Barbara