Meine DIY-Hommage an einen grossen Künstler
Michelangelo Buonarotti, der Erschaffer der Pietà, des David und der Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle, war - obwohl das weniger bekannt ist - auch ein äusserst talentierter Dichter. Seine Lyrik war sehr persönlich, oft philosophisch oder spirituell geprägt. Er schrieb über Kunst, das Alter, die Liebe, die Vergänglichkeit und seine Beziehung zu Gott. Viele seiner Gedichte sind ernst, tiefgründig und existenziell.
Zum Foto: Die Darstellung des Propheten Jeremia aus der Decke der Sixtinischen Kapelle, gemalt von Michelangelo um 1511, gilt als die wahrscheinlichste Darstellung Michelangelos selbst.
In dem folgenden Sonett bringt Michelangelo seine Überzeugung zum Ausdruck, dass wahre Grösse nicht in der Kunst oder in der Macht liegt, sondern in der geistigen Ausrichtung des Menschen.
Ich denke, was für Kunst und Macht gilt, trifft ebenso auf Reichtum und materiellen Besitz zu.
Nicht Kunst noch Macht kann meine Seele retten,
nicht Bild noch Stein, vom Meissel kunstvoll frei -
was zählt, ist nur, ob meine Seele sei
auf Gott gerichtet - nicht auf Ruhm und Ketten.
Viele Verse Michelangelos waren auch Ausdruck seiner Nachdenklichkeit.
Der folgende Vers zeigt, dass er seine lebenslangen Bemühungen, Wünsche und sein Streben rückblickend und im Alter als Stationen einer fortschreitenden Selbstentwicklung betrachtete.
Während er sich in jüngeren Jahren oft noch stark am Äusseren orientierte, richtete sich sein Blick im Alter zunehmend nach innen und auf das Wesentliche.
Ich denke, dass wir uns in dieser Hinsicht ruhig ein Beispiel an Michelangelo nehmen dürfen.
Jetzt, da das End’ mir nah, seh’ ich wohl ein,
dass Trug war, was mein Herz einst hochgeehrt:
nicht Bild, noch Stein, das meine Hand gemeisselt,
führt mich zu Gott - nur Reue, Leid und Pein.
Nicht Schönheit, Ruhm, noch weltlich kühner Schein
hat je die Seele wahrhaft aufgezehrt.
Drum wünsch ich nun, dass aus dem Kunstbegehren
ein Hoffen wird, beim Höchsten zu verweilen.
Die folgenden Verse - wohl an Tommaso de’ Cavalieri gerichtet - zeigen, wie Michelangelo Liebe erlebte.
Für ihn war sie - wahrscheinlich unter anderem - eine Chance, selbst zu wachsen und zu reifen.
Das Begehren, das zunächst auf sich selbst bezogen ist, weicht der Gnade, die von jemand anderem ausgeht.
Wenn je das Herz aus dem Gesicht gesprochen,
dann zeugt mein Blick von dem, was tief in mir;
dein Bildnis lebt in meiner Seele hier -
nicht von der Hand, nur durch das Licht gestochen.
Du hast mit deinen Zügen mir versprochen
ein Höheres, das wächst durch dich in mir.
So brennt mein Wunsch, in seinem süssen Gier,
und hofft auf Gnade, nicht auf Ruhm und Pochen.
Ich mag Michelangelos Zeilen sehr, auch wenn die Sprache - weit entfernt von unserer Zeit - mitunter fast ein wenig affektiert wirkt.
Gerade in ihrer Feierlichkeit hinterlassen diese Verse in mir das Gefühl, dass hier von etwas die Rede ist, das wahr ist - und mit „wahr“ meine ich: unveränderlich und ewig.
Und das ist nicht nur schön, das tut auch gut!
Barbara