Mein Essay zu einem SRF-Beitrag
Im heutigen SRF-Beitrag „Selfcare ist ein Akt politischer Kriegsführung und keine Wellness“ ging es - grob gesagt - um den Unterschied zwischen Selbstverantwortung und Nabelschau. Um diesen herauszuarbeiten, wurde ein Blick in die Geschichte geworfen: Der Begriff "Selbstfürsorge" entstand in den 1960er- und 70er-Jahren, als Schwarzen Communitys der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung verwehrt wurde. Damals bedeutete Selbstfürsorge, sich gegenseitig zu unterstützen und Verantwortung für die gesundheitliche Fürsorge zu übernehmen.
Der Artikel beschreibt weiter, dass Selfcare absolut kein Ego-Projekt ist, aber dann zu einem solchen verkommt, wenn aus einer politischen Praxis zur kollektiven Widerstandsfähigkeit ein konsumierbares Produkt wird, dass Individualismus statt Gemeinsinn stärkt.
Ich selbst begegne dem Begriff Selfcare oft mit Skepsis - vor allem, wenn ich auf Seiten stosse, die von Me-Time, Wohlfühloasen, Entspannungsprogrammen und inspirierenden Rückzugsorten sprechen. Oft denke ich, dass hier aus den Bedürfnissen des Menschen, jemand zu sein, selbstbestimmt und anerkannt durchs Leben zu gehen und frei zu sein von Bevormundung ein grosses Geschäft gemacht wird.
Deshalb war ich froh, diesen Artikel zu lesen. Er zeigte mir, dass Selbstsorge weit mehr ist als "Kamillentees, Lavendelbäder oder Wellnesswochenende".
Im Artikel wurde auch der französische Philosoph Michel Foucault erwähnt, der für eine Beziehung des Selbst zu sich selbst plädiert - eine Beziehung, die nötig sei, um eine Praxis der Freiheit zu verwirklichen. Damit, so der Artikel, meinte Foucault keinen Rückzug ins Private, sondern einen Akt der Selbstermächtigung gegenüber fremder Bevormundung. In einer Gesellschaft, die ihre Subjekte körperlich, sozial und moralisch diszipliniert, ist Selbstsorge ein Weg, Macht - und damit Freiheit - über sich selbst zurückzugewinnen, statt sich von gesellschaftlichen Normen regieren zu lassen. Heute wären solche Normen zum Beispiel die allgegenwärtigen Fitness- oder Selbstoptimierungs-Ideale.
Besonders eindrücklich war, dass der Artikel Foucaults Theorie mit konkreten Beispielen verband. Er zitiert die Psychologin Stephanie Karrer, die aufzeigt, wie Selbstsorge praktisch gelebt werden kann:
-
Körperlich: auf Signale hören, Pausen einlegen, sich bewegen.
-
Emotional: Zeit für sich oder für nährende Beziehungen nehmen.
-
Kognitiv: bewusstes Reflektieren eigener Gedanken und Haltungen.
-
Sozial: Konflikte klären, Nähe zulassen.
-
Spirituell: dankbar sein, beten, sich mit der Natur verbinden.
Selbstsorge oder Selbstfürsorge hat also viel mit innerer Orientierung und Lebensphilosophie zu tun. Es ist eine Praxis, die hilft, sich des eigenen Werts bewusst zu werden und sich nicht manipulieren oder objektivieren zu lassen.
Es geht letztlich um nichts Geringeres als um Würde und Selbstachtung - und darum, nicht hereinzufallen auf die Versprechen einer Industrie, die einem vormachen will, dass Wellness-Smoothies, Botox und "Bin-dann-mal-weg" genügen, um sich selbst und den Zugang zu einer verantwortlichen Teilhabe an der Welt zu finden.
Barbara