Meine DIY-Geschichte
Die Birken am Burgäschisee
Die Generalversammlung der Partei "Vereinigte Birken des Burgäschisees" beschloss einstimmig, einen Beschwerdebrief an Herrn Klimawandel zu schreiben. Dem Herrn, welcher für die Abkühlung oder Erwärmung des Klimas auf der Erde über einen langen Zeitraum verantwortlich ist, sollte in der Beschwerde dargelegt werden, dass es so nicht weitergehen könne. Herr Klimawandel liess die gegenwärtige globale Erwärmung zu schnell fortschreiten, sodass bestimmte Pflanzen, insbesondere die Birken, mit einer solchen raschen Veränderung nicht klarkämen. Seit einigen Jahren würden die Bäume mit den auffällig weissen Rinden Krankheiten bekommen, welche eigentlich nur eine Folge der zu rasch fortschreitenden Erderwärmung sein könnten. Auffällig sei zudem die schleichende Verschlechterung des allgemeinen Zustandes der Bäume. Braunes Laub, kahle Äste und schüttere Kronen würden das Bild der städtischen Birken, aber auch diejenigen am Burgäschisee prägen. Mit der Beschwerde forderte die Partei Herrn Klimawandel dazu auf, den Prozess der globalen Erwärmung zu verlangsamen.
Die Sekretärin der Partei der "Vereinigten Birken des Burgäschisees" verfasste den Brief und liess ihn von der Präsidentin und der Vizepräsidentin unterschreiben. Der Brief wurde er Herrn Klimawandel zugestellt. Dieser antwortete sofort. Im Antwortschreiben war folgendes zu lesen:
"Sehr geehrte Birken, ich habe Ihre Beschwerde erhalten und sie studiert und muss Ihnen mitteilen, dass ich alles, was Ihre Anklagen betrifft, voll und ganz nachvollziehen kann. Trotzdem kann ich Ihrer Forderung leider nicht erfüllen, denn für das rasante Tempo der Klimaerwärmung bin ich nicht verantwortlich.
Massgebliche Treiber sind zu viele der sogenannten Treibhausgase. Wie das Glas eines Treibhauses verhindern diese, dass Wärme von der Erde ins Weltall entweichen kann. Eine bestimmte Menge an Treibhausgasen macht das Leben auf der Erde erst möglich. Werden aber zu viele freigesetzt, heizt sich die Erde zu fest auf, wie das momentan der Fall ist. Seit Jahren wird beispielsweise durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und durch Veränderungen im Landanbau zu viel Kohlendioxid produziert, durch die intensive Viehhaltung und den Reisanbau zu viel Methangas und durch die Anwendung von Stickstoffdünger zu viel Lachgas.
Das Problem ist, dass sich die Menschen einem Lebensstil verschrieben haben, der sich nicht auf vernünftiges Handeln und Sparen stützt, sondern auf hedonistisches Konsumieren. Und, so schrieb Herr Klimawandel weiter, sei eigentlich ein falsches Ideal der Menschen verantwortlich für die Krankheiten der Birken und für das Birkensterben in den Städten.
An einer ausserordentlichen Generalversammlung der Partei "Vereinigte Birken des Burgäschisees" las die Präsidentin den Brief des Herrn Klimawandel vor. Die Birken waren bestürzt und fassungslos, hüstelten kränklich und schwiegen eine geraume Weile. Die Vizepräsidentin meldete sich als erste zu Wort. Aus dem Inhalt des Briefes könne man folgern, dass die Menschen die Genussorientierung im Hier und Jetzt vor die Vernunft und die Zukunftsorientierung stellten. Die Masslosigkeit des Menschen und jene der Wirtschaft würden sich wechselseitig aufschaukeln.
Auch die Sekretärin meldete sich wieder zu Wort. Sie meinte: "Beim falschen Ideal von dem Herrn Klimawandel spricht, handelt es sich wohl darum, dass der Mensch Reichtum nur mit dem Haben von materiellen Gütern verknüpft und deshalb ausschliesslich Werte wie Vermögen, Wohlstand, Genuss, Vergnügen und Spass lebt. Er tappt unweigerlich in die Falle des "Immer-mehr". Er hat vergessen, dass der wahre Reichtum nicht nach Haben, sondern nach Sein fragt. Dieser Reichtum verknüpft sich mit der Suche nach der Sinnstiftung des Lebens und kennt Werte wie Dankbarkeit, Verantwortung, Demut, Zuversicht und Vertrauen.
Nur, wenn die Menschen wieder nach wahrem Reichtum streben würden, könnten unsere lieben Birkenschwestern und mit ihnen alle anderen leidenden Lebewesen gerettet werden."
Die Birken applaudierten lange und schüttelten ihre zum Teil kahlen Zweige, wohlwissend, dass das, was die Sekretärin sagte, genau der Punkt war. Die Versammlung endete, als die Sonne schon hinter dem Jura verschwand. Die Präsidentin wünschte allen Anwesenden eine gute Zeit am See und schloss die Versammlung mit den Worten: "Hoffen wir, dass die Menschen in Zukunft wieder zu einem Lebensstil finden, der sich an Sinn und nicht an Wahnsinn anbinden lässt."
Barbara