Freitag, 1. Oktober 2021

Liebe Schwester

Mein DIY-Brief an meine Schwester


Vorwort 

Ich bekenne: Märchen begeistern mich, seit ich ein kleines Mädchen war. Die Anti-Phase mit "Märchen sind nicht zeitgemäss und schaden der kindlichen Seele" dauerte bei mir nur ganz kurze Zeit. Ich denke, in der Mail an meine fiktive Schwester wird sich meine Vorliebe nicht verstecken lassen. "Der grossmächtige Gugelhopf", von dem ich am Schluss der Mail schreibe, war mein erstes Grimm-Märchen, das ich selber gelesen habe. Es war im Lesebuch der ersten und zweiten Klasse zu finden.


Liebe Schwester,

danke für deine Mail. Es freut mich, dass dir auch das vierte Modul zu deiner Ausbildung als Märchenerzählerin gefallen hat. Das Thema dieser Ausbildungseinheit, "Macht und Ohnmacht im Alltag und im Volksmärchen", tönt wirklich vielversprechend.

Du fragst mich, was du als Patin meiner Tochter Lisa zu ihrem fünften Geburtstag schenken könntest. Wie du ja schon erlebt hast, ist Lisa zur Zeit in einer rosa-pinken Prinzessinnen-Glitzer-Phase. Deshalb dachte ich mir, dass ihr das Bilderbuch „Prinzessin auf der Erbse“ von Hans Christian Andersen mit den Illustrationen von Eve Tharlet gefallen könnte. Bestimmt würde sie schon der Einband mit der Prinzessin, die vor einer Beige rosafarbener Matratzen steht, begeistern. In einem Internetshop habe ich auch Badesalz gesehen. Gemäss Beschreibung des Herstellers färbt das duftende Salz das Badewasser rosa und lustige Märchenwald-Konfetti-Figuren schwimmen auf der Wasseroberfläche. Dir als Märchentante kann dieses Salz nur gefallen. Sorry, Schwesterchen, Märchentante ist nicht despektierlich gemeint. Ich teile doch deine Meinung, dass Märchen pädagogisch sinnvoll sind. Dass sie helfen, eigene Erfahrungen und Gefühle einzuordnen, erlebe ich eins zu eins bei Lisa. Ist die Maus in Äsops Fabel ängstlich, erlebt auch Lisa Angst, begegnen Hänsel und Gretel der Hexe mutig, spürt auch Lisa, dass Mut gut tut.

Habe ich dir schon gesagt, dass Lisas Lieblingsmärchen zur Zeit „Dornröschen“ ist? Mindestens jeden zweiten Abend vor dem Schlafengehen bettelt sie, dass ich ihr das Märchen von der Prinzessin erzähle, die sich an einer Spindel den Finger blutig sticht und die daraufhin in einen 100-jährigen Schlaf verfällt.

So, nun werde ich noch einige Rezeptblogs durchstöbern. Ich hoffe, ich finde ein etwas spezielles Rezept für einen Gugelhopf. An Lisas Geburtstag, den wir ja am frühen Abend feiern, wird es Kürbissuppe und Gugelhopf geben. Weisst du, in Zeiten von Regenbogentorten und anderen übertriebenen Backkunstwerken möchte ich dem guten, alten Gugelhopf ein Revival gönnen. Ich werde schauen, dass der Kuchen auch ohne Lebensmittelfarbe ziemlich rosa wird - vielleicht mit Tiefkühl-Himbeeren - und vor allem, dass er sich besser schneiden lässt, als jener im Märchen "Der grossmächtige Gugelhopf".

Also Schwesterherz, dann bis bald!

Deine Barbara