Meine DIY-Weihnachtsgeschichte
Aus den Wörtern "nass, kalt, Pferde, klitzeklein, rot" habe ich eine Weihnachtsgeschichte geschrieben.
Einleitende Bemerkung
Alle Katzen, die nicht einfarbig sind oder einfarbig mit weiss, sind getigert, gestromt, getupft oder getickt. Sie haben ein sogenanntes Tabby-Muster. Allen Tabby-Mustern gemeinsam ist eine M-förmige Zeichnung auf der Stirn in der Grundfarbe des Fells.
Zum M auf der Stirne solcher Tabby-Katzen gibt es eine Legende, die ich in meiner Weihnachtsgeschichte ausgeschmückt habe.
Der rote Kater
Gemütlich machte die kleine, weisse Katze Mimi ihren gewohnten himmlischen Spaziergang. Ihre Schnurrhaare zittern kaum merkbar, als sie den leicht zerzausten, aber hübschen Kater sieht, die ihr hin und wieder auf dem Weg begegnet. Bisher nutzten sie noch keine Gelegenheit, miteinander zu plaudern. Doch heute verspürt Mimi grosse Lust, dies zu tun.
Gerne möchte sie wissen, warum der Kater, dessen Fell rot ist, und der ein charakteristisches M auf der Stirn trägt, immer so traurig in die ewige Welt schaut. Ob es ihm wohl in der vergänglichen Welt schlecht ergangen war?
Mimi nimmt ihre ganze Mut zusammen und sagt: "Hallo, du, ich grüsse dich. Ich bin Mimi".
Die rote Katze bleibt stehen, schaut zu seinem Gegenüber und antwortet. "Hallo, ich bin Sem". Die Stimme des Katers ist sicher und freundlich und Mimi fasst weiteren Mut. "Geht es dir nicht gut, lieber Sem?" Der Angesprochene zögert. Erst nach einem Weilchen entgegnet er, dass dies so sei. Mimi, die instinktiv spürt, dass Sem mitteilungsbedürftig ist, fragt weiter, was er denn erlebt habe. Er müsse immer und immer wieder über eine Ungerechtigkeit nachdenken, die ihm im irdischen Leben widerfahren sei.
"Weisst du, sagt Sem, ich war ein einsamer, obwohl sehr hübscher Straßenkater in Bethlehem, seinerzeit als die berühmte Volkszählung des Kaisers Augustus stattfand. Damals kamen viele Menschen in die Stadt; wenige zu Pferde, viele auf Eseln und noch viele mehr zu Fuss. Ich erinnerte mich noch gut an jenen Tag, als ich auf meinem Lieblingsmäuerchen an der Sonne sass. Es hatte kurz zuvor geregnet und die Strassen waren noch nass, als ein Mann zu mir kam und mich streichelte. Der Mann, dessen Liebkosung mich ganz glücklich machte, hatte eine Frau bei sich, die schwanger war. Ihr Bauch war sehr gross und ich dachte mir, dass sie bestimmt bald niederkommen würde."
Mimi spitzte die Ohren, denn die Geschichte interessierte sie sehr. "Wie geht es weiter, Sem?"
Ein bisschen Angst hatte ich schon - sie war aber nur klitzeklein. Dann hörte ich Musik, wie ich sie noch nie gehört hatte. Ich starrte während längerer Zeit wie gebannt auf das Licht und lauschte den Klängen. Dann verebbte zuerst die Musik und auch das Licht verschwand. Dort, wo es gewesen war, stand nun ein grosser, heller Stern mit einem langen Schweif. "Und", fragte Mimi, "folgtest du dem Stern?"-"Ja, ich schlich leise, wie man es von uns Katzen gewohnt ist, durch die Gassen der Stadt, ich trabte durchs Stadtor hinaus und ging weiter über die Felder vor der Stadt. Ich dachte mir, dass es wahrscheinlich schon gegen Mitternacht zuging. Ich näherte mich dem Ort und erblickte alsbald einen alten Stall. Da waren ein Ochse und ein Esel, da waren Schafe und Hirten und da war jener Mann, der mich am Morgen, als ich auf dem Mäuerchen sass, gestreichelt hatte. Seine Frau war auch da und ein neugeborenes Kind in einer Krippe. Das Neugeborene war klein und zart und es trug nichts am Leibe ausser einer Windel. Und da dachte ich mir, dass ich nun die Aufgabe hatte, das Kind zu beruhigen und zu schauen, dass es nicht kalt hätte. Ich sprang in die Krippe und drückte mich vorsichtig und sanft an das zarte Wesen. Die Mutter des Kindes segnete mich und so wusste ich, dass ich das Richtige gemacht hatte."
"Ja, aber Sem, wo ist denn jetzt die Ungerechtigkeit, die dich so traurig stimmt?"
Die Ungerechtigkeit, so der rote Kater, bestünde darin, dass die Menschen in späteren Zeiten in ihren Weihnachtskrippen immer nur Ochse und Esel und Schafe aufgestellt, dass sie aber nie eine Katze in die Krippe neben Jesus gelegt hätten. Mimi hörte aufmerksam zu. Eine Weile schwiegen die beiden Katzen, bevor Mimi zu fragen wagte: "Sem, hattest du dieses M auf der Stirne schon bevor du dem Jesuskind warm gegeben hast?"
"Jetzt, wo du mich das fragst, Mimi, kommt mir etwas in den Sinn." Sem zögerte: "An jenem besagten Morgen, bevor mich der Mann streichelte, schaute ich in eine Pfütze. Es hatte ja geregnet, wie ich schon sagte, und ich wollte sehen, ob ich immer noch hübsch genug für eine neue Eroberung war."
"Und?"
"Es gab noch kein M auf der Stirne."
Er wiederholte heiser: "Es gab noch kein M auf der Stirne!"
"Oh, mein lieber Sem", entgegnete Mimi. "Du hast das Augenscheinlichste nicht bemerkt. Dein ganzes Leben hast du dich geärgert über eine Ungerechtigkeit, die gar keine ist. Was bedeutet es schon als Figürchen in einer nachgemachten Weihnachtskrippe zu liegen, wenn man von Maria, der Mutter Gottes, höchstpersönlich gesegnet wurde ?"
"Ja meinst du", stotterte Sem, "dass ich die erste Katze überhaupt war, die dieses M hatte, und dass bestimmte Katzen, das Initiale Marias nur tragen, weil ich mich in die Krippe zu Jesus legte und ihm warm gab?"
"Ja", entgegnete Mimi, "da bin ich mir sicher".