Vier Kissen
Beschwingt und fröhlich, wie immer, wenn sie die Kissen aufschütteln soll, tritt Marie ins Zimmer. Sie schaut sich um, läuft zum Fenster und öffnet flink dessen beide Flügel. Nun schreitet sie zum Bett und holt das erste der vier Kissen. Zurück beim Fenster schüttelt sie dieses so auf, dass die Federn nur so fliegen. Weiss sind sie und leicht und flaumig. Lange gaukeln sie in der Luft, denn hier, in der anderen Welt, gibt es kaum Wind, der sie durcheinanderwirbeln, erneut emportragen oder gar verbinden lässt.
Auch ist es ganz ruhig, ja wirklich lauschig und still, genau so wie in der Welt, aus der sie hierhin gekommen war. Immer, wenn es zu Hause schneite, war es still wie gerade jetzt. Marie hatte jeweils das Tanzen der Flocken geliebt, ihr stilles Gleiten, ihr sanftes Hinlegen auf Feld, Wald und Flur. Alles schien eingetaucht in ein blankes Meer, das in hellsten aller Farben, die es gibt, kristallen glänzt. Anders als der Regen, der Nässe brachte, erschien der frische Schnee jeweils trocken und rein.
Marie holt das zweite Kissen. Auch dieses schüttelt sie heftig und gut. Von Frau Holle, jener alten Frau, bei der sie seit geraumer Zeit weilt, hat Marie erfahren, dass es zu Hause schneit, wenn hier die Kissen geschüttelt werden. Und wie wenn sie damit ihrer Stiefmutter und ihrer gleichnamigen Halbschwester ein Zeichen geben könnte, schüttelt sie eifrig und leidenschaftlich. Als Marie die Federn aus dem dritten Kissen tanzen lässt, kommen ihr die Tränen. Sie denkt an jene Weihnachtsfeiertage zu Hause, an denen die Bäume und Dächer mit ihnen der Farbe der Reinheit trugen, die hungrigen Vögelchen ans Futterbrett kamen und die Weihnachtskrippe aus geschnitzten Figuren in der Stube stand. Ja, sie geht ans Fenster, obwohl es hier bei Frau Holle besser geht als bei Mutter und Schwester, hat sie Heimweh. Als das vierte und letzte Kissen an der Reihe ist, weiss Marie, dass sie mit der alten und weisen Frau sprechen muss. Frau Holle würde bestimmt Verständnis dafür haben, dass sie Heimweh nach Hause, nach ihrer Mutter und Schwester und nach dem leise Rieseln des Schnees bekommen hatte.
Nachwort
Wie wir alle wissen, hatte Frau Holle wirklich Verständnis. Sie führte Marie zu einem Tor, durch welches das Mädchen wieder nach Hause gelangen konnte. Unter diesem Tor wurde Marie zur Goldmarie.
Barbara