Meine DIY-Geschichte
Der Toleranz auf der Spur
Er blieb stehen und schaute noch einmal zurück, doch die Bank war leer. Noch vor einer knappen Minute sass er selber dort und unterhielt sich angeregt mit dem griechischen Philosophen Aristoteles. Ihr Gespräch hatte das Thema "Toleranz". Diese Tugend kam zwar im Werk des grossen Moralphilosophen nicht vor, aber trotzdem hatte er dazu einiges zu sagen gehabt, vor allem, dass Toleranz nur einen Zweck haben konnte: dem friedlichen Zusammenleben zu dienen. Christian ging zurück zu der Bank, von der er eben aufgestanden war und setzte sich wieder. Gedankenverloren schaute er auf die Blüten der Rosenstauden im Blumenbeet. Im eben stattgefundenen Gespräch ging es um die Toleranz als einem der wichtigsten Prinzipien einer Demokratie. Um überhaupt zur Toleranz fähig zu sein, muss ein Mensch jeden anderen Menschen als gleichwertig ansehen. So sind beispielsweise reichere oder jüngere Menschen nicht mehr wert als sozial schlechter gestellte oder alte Menschen. Toleranz, was den Wert betrifft, bezieht sich auf das Sein des Menschen. So ist es nicht von Belang, woher jemand kommt oder welches Geschlecht oder Hautfarbe er hat. Auch jeden Lebensentwurf, jede Idee, jede Meinung soll man dem anderen zugestehen. Toleranz kann hier eingefordert werden, denn obwohl wir alle anders sind, sind wir doch alle als Menschen gleich viel wert.
Von Belang hingegen ist, was der Mensch tut, wie er handelt und reagiert. Toleranz kann hier nicht eingefordert werden, denn niemand muss, weil ein anderer etwas tut oder nicht tut Schaden nehmen; niemand soll einer Ungerechtigkeit ausgesetzt sein oder das Opfer von Niedertracht, Gemeinheit und Ungerechtigkeit werden; auch muss niemand hinnehmen, dass Recht und Gesetz übertreten werden. In solchen Fällen muss man nicht per se tolerant sein. Dulden und Ertragen ist manchmal keine gute Option.
Hin und wieder ist es wichtig und richtig, Einspruch zu erheben, das heisst: gegen etwas Stellung zu beziehen. Man ist nicht intolerant, wenn man aus guten Gründen, also aus Gründen, die nicht das Sein des Menschen betreffen, sondern sein Handeln, opponiert. Wer dies tut, ist nämlich nur der "Kläger" und nicht der "Richter".
Dem Licht nach war die Sonne noch nicht am Untergehen, trotzdem war Christian mittlerweile fast alleine im Park. Er selber tat sich manchmal schwer mit der Toleranz. Er musst sich immer wieder klar machen, dass er mit der Toleranz, wenn es um den Wert des Menschen, und der Toleranz, wenn es um sein Handeln oder Tun ging, anders umgehen muss. Wenn es ums Sein des Menschen geht, darf es keinen Einspruch geben, beim Handeln hingegen kann ein solcher durchaus nötig werden. Christian ist aber überzeugt, dass man bestimmtes Benehmen und Tun aus Vernunftgründen erdulden (tolerieren) muss, weil es keinen Sinn macht, zu intervenieren oder sich aufzuregen, vor allem dann, wenn man nicht direkt ins Geschehen involviert oder gar Verantwortungsträger ist. Ja, auch das kam im Gespräch mit Aristoteles heraus.
Christian stand auf. Er warf seine Jacke über die Schulter und marschierte zur Bushaltestelle. Irgendwie fühlte er sich nach diesem Gespräch mit dem Philosophen lockerer und leichter. Und das war gut so.
Barbara