Montag, 21. März 2022

Es war einmal ein Buch

Meine DIY-Geschichte


Es war einmal ein Buch

Es war einmal ein Buch. Es war dünn und hatte ein eher antiquarisches Cover. Es befand sich zusammen mit anderen Büchern auf einem Stapel. Als die Leseratte das Buch nach Hause brachte, kam es zuoberst auf die Beige. So hoch oben fand es 'Der erste Lehrer' echt nett, vor allem, weil er eher ein Büchlein war als ein Buch. Zwei Tage später bugsierter die Bücherfreundin - oder war es womöglich ein Bücherfreud? - ein neues Buch auf die Beige, 'Was vom Tage übrig blieb' war ein eingebildetes Ding. Nur, weil sein Inhalt von einem Nobelpreisträger stammte, benahm es sich von oben herab. Das Buch war nicht lange auf der Beige. Der bibliophile Mensch nahm es schon zwei Tage später vom Bücherturm. Einmal, da brach der Stapel auseinander. Das war, als 'Pnin' daraus hervorgezogen wurde. Die Bücher purzelten durcheinander. Sie wurden neu platziert und die alte Ordnung gab es nicht mehr. 'Der Vorleser' kam von der Mitte ganz nach oben, 'Tyll' kam zuunterst und 'Der erste Lehrer' war von Platz zwei in die Mitte gerutscht. Oft fragten sich die gestapelten Bücher, wohin die Werke wanderten, die vom oder aus dem Stapel genommen wurden. 'Der heulende Müller' hatte eine Idee. Er meinte, sie würden gelesen. 'Ja, das sei so sicher wie das 'Amen in der Kirche?, erwiderte 'Die Frau auf der Treppe'. Die Frage sei eher, wohin die Bücher nach dem Lesen kämen. Da gäbe es drei Möglichkeiten, sagte die altkluge 'Atemschaukel': Erstens: Abfall. Zweitens: Brockensutube. Drittens: Büchergestell." Die Vorstellung, in einem richtigen Büchergestell zu stehen, fand das dünne Buch mit dem eher altmodischen Cover echt entlastend. Das erleichterte Gefühl war aber nicht von langer Dauer. Es kamen weitere drückende Wälzer auf die Beige. 'Buskaschi' und 'Der Name der Rose' mussten zusammen bestimmt an die 1500 Seiten haben. Dagegen waren die 94 Seiten des dünnen Büchleins Peanuts. Rutschte es wohl deswegen immer weiter nach unten? Die Frage konnte es sich im Moment nicht beantworten. Dafür wusste es nun fast mit zerquetschter Sicherheit, dass der Bücherfreud eine Frau war. Kein männlicher Bibliomane würde den 'Iwan Iljitsch' auf einen Haufen tun, sondern sofort lesen und dann in ein Büchergestell stellen.


Langsam aber sicher fragte sich 'Der erste Lehrer' warum er sich dem Untergrund immer wie mehr näherte. Lag es an seinem Aussehen? An seiner Dicke? Aber durfte eine Bücherfreundin oder ein -freund ein Buch nach seinem Schein beurteilen? War es nicht das Sein das zählte, also das, was das Buch seinem Leser oder seiner Leserin geben konnte? Im Moment war das dünne Büchlein mit dem altmodischen Cover physisch und psychisch ganz unten. Seine Seele litt, vor allem, weil es nicht die Möglichkeit bekam, sie der Bücherfreundin zu öffnen. Irgendeinmal hatte ein gescheiter Schriftsteller gesagt, dass Bücher die Nahrung der Seele wären. "Na, ja, dann hatte wohl die Seele seiner Bücherfrau keinen Hunger nach nicht ausgesprochener Liebe, Verzweiflung, Schmerz und Zuversicht. Doch, was nicht ist, konnte ja noch werden." So lebte 'Der erste Lehrer' hoffend und vertrauend zuunterst in der Bücherbeige. Und wenn er nicht vom Stapel genommen wurde, dann hofft und vertraut er noch heute.

Nachwort


Schreiben ist etwas Schönes. Man kann Realitäten schaffen, die keine sind. Ich habe zum Beispiel keinen SUB, obwohl es in der Geschichte ganz danach ausschaut. Bei mir gibt es immer nur ein Buch, das ich noch nicht gelesen habe, aber noch lesen will. Ich habe aber dennoch eine Bücherbeige. Die Bücher des Stapels sind gelesen und die Beige ist sozusagen dekorative Zwischenlager vor dem Büchergestell. 'Der erste Lehrer' von Tschingis Aitmatow ist zuoberst auf der Beige und nicht zuunterst, wie in der Geschichte.


Barbara