Mein DIY-Märchen in drei Teilen
Vorwort
Narnia, Westeros und Fantasien sind Welten, die wahrscheinlich jedem Fantasy-Fan sofort einfallen. Ich kenne sie nur vom Hörensagen, denn, ich muss gestehen, ich war bis jetzt kein grosser Fan jener Geschichten, die man gemeinhin dieser Kategorie zuschreibt.
Märchen und Kunstmärchen hingegen begeistern mich. Und ich denke, diese fantastischen Geschichten sind ohne Zweifel die Vorläufer des Genres Fantasy. Auch ich habe schon probiert, Märchen zu schreiben. "Rübezahl und Loreley", habe ich vor 14 Jahren verfasst. Es handelt sich um eine Trilogie, die bis anhin nur aus zwei Teilen bestand.
Teil 1: Warum Rübezahl sein fröhliches Gemüt verlor
Teil 2: Warum Loreley ihr Lächeln verlor
Der dritte Teil, der enden sollte mit "Und, wenn sie nicht gestorben sind, dann..." fehlte bis vor wenigen Tagen, weil mir nicht in den Sinn kam, wie ich das "Happy End" herbeiführen konnte. Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel, als ich plötzlich wusste, dass die Hexe Warwara mir helfen würde, den dritten Teil zu schreiben. :-)
Er würde heissen:
"Warum Rübezahl und Loreley wieder glücklich sind."
"Wie so oft in letzter Zeit, erhob sich Warwara mitten in der Nacht, weil etwas sie daran hinderte Schlaf zu finden. Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe und stapfte in die Küche, wo in der Mitte des Tisches ein Krug mit einem Kräutersud stand. Manchmal half das bittere Getränk und sie konnte wieder einschlafen. Doch heute, wie so viele andere Male auch, war dies nicht der Fall. Sie lag wach und wach und hörte, wie immer, von weit her diesen betörenden Gesang, der schön war wie der reine Tag, hell, wie der hellste Glockenklang und so wunderbar und prächtig, wie noch nie jemand vorher so etwas gehört hatte."
STOPP!!!!
Hier die ganze Trilogie schön der Reihe nach!
Warum Rübezahl sein fröhliches Gemüt verlor
Jeder Riese, der noch jung an Jahren, musste zu gegebener Zeit seine Heimat verlassen und sich auf Wanderschaft begeben. So schnürte auch Rübezahl aus dem Riesengebirge eines schönen Tages sein Bündel und machte sich auf den Weg. Von Bergen hatte er gehört, die so hoch wären, dass sie das ganze Jahr über von Schnee bedeckt seien, und die noch kein Mensch je erklommen hätte. Diese Berge zu sehen, nahm er sich vor, und er gedachte, zuerst nach Westen und dann in Richtung Süden zu wandern. Rübezahl war ein gutmütiger, fröhlicher und aufgeschlossener Kerl. Den Menschen war er wohlgewonnen, und kaum jemand hatte Angst vor ihm, obwohl er von grosser und kräftiger Gestalt war.
Nach einigen Tagen erreichte er den Brocken. Es war schon am Eindunkeln, und im Osten, wo die Nacht den Tag noch soeben besiegt hatte, funkelten bereits die ersten Sterne am Himmel. Kaum tauchte der Mond am Horizont auf, spürte Rübezahl einen heftigen Windstoss, und im Nu legte sich ein nebliger Schleier um den Wanderer. Alle Geräusche der hereinbrechenden Nacht verbebten im Nu. Nur noch das weit entfernte Heulen eines Hofhundes war zu vernehmen.
Rübezahl, der keine Furcht kannte, blickte neugierig um sich. Da, etwa drei Schritte von ihm entfernt, sah er eine etwas dunklere Stelle in dem nebligen Grau. Langsam löste sich der Nebel, die diese stand ein schwarzgewandetes Weib mit einem Stab in der Hand. Er trat auf das Weib zu und begrüsste es in seiner gewohnt freundlichen Manier. Schnell vertieften sich die beiden in ein angeregtes Gespräch. Rübezahl erfuhr vieles, was ihm bisher unbekannt war: Über das Leben und Treiben der Hexen, über ihren berühmten Hexentanz, über die Länder rund um den Harz, über die langen Flüsse, die diese Länder durchquerten, und über die Wesen, die in ihnen hausten.
Von Loreley erzählte das Weib. Schön wie der Himmel sei sie, lieblich, mit langem, blondem Haar, dass sie mit ihrem goldenen Kamm seidig glänzend kämmte. Rübezahl hing an der Hexe Lippen und erlabte sich an ihren Worten. Alles, was er wissen wollte, erfuhr er über Loreley. Und je mehr er hörte, desto mehr entbrannte er in Liebe zu ihr.
Eins war ihm jetzt schon gewiss: Sobald der neue Tag anbrach, wollt er sich aufmachen, dorthin, wo seine Angebetete hauste. Dort, wo der Rhein seine tiefste und schmalste Stelle hatte, würde er sie auf einem Felsen finden, ihr Goldhaar kämmend, so schön und rein wie der neue Tag. Und von dort wollte er sie mitnehmen in seine Heimat, und sie lieben Tag um Tag und Jahr um Jahr.
Es war noch früh am Morgen, als sich Rübezahl auf den Weg machte. Er holte fest aus und erreichte schon nach weiteren drei Tagen den Rhein. Eilends schritt er auf die Stelle zu, wo er seine Angebetete finden musste. Die Sonne zeigte bald Mittag. Und da sah er sie. Schöner, lieblicher, anmutiger, als er sie sich je hätte vorstellen können. Ohne zu zögern trat der in Liebe entbrannte Riese auf Loreley zu, nahm sie auf seinen starken Arm und fragte sie unverzüglich, ob sie sein Weib werden und mit ihm in seine Heimat ziehen wolle. Loreley brach in ein schallendes Gelächter aus und wand sich wendig aus den Armen des überraschten Rübezahl. Sie setzte sich, wie wenn nichts geschehen wäre, auf den Felsen über dem Rhein, kämmte ihr blondes Haar mit dem goldenen Kamm und lachte, und lachte.
Rübezahl blieb mit Tränen in seinen Riesenaugen am Ufer des Rheins stehen. Erst, als die Sonne schon weit nach Mittag zeigte, drehte er sich um. Enttäuscht, gebeugt und voller Gram machte er sich auf den Heimweg.
Die Menschen erschraken, als sie den Riesen nach wenigen Tagen wieder zu Hause sahen. Da kam ein wortkarger, bärbeissiger Bursche, gar garstig und boshaft in seinem Wesen. Und viele fürchteten ihn fortan, und dies nicht nur, weil er von grosser und kräftiger Gestalt war.
Warum Loreley ihr Lächeln verlor
Hoch über den Felsklippen und Stromschnellen sass sie auf dem mächtigen Schieferselsen und kämmte ihr langes, blondes Haar mit dem goldenen Kamm. Es glänzte wie der feuchte Tau, der sich am frühen Morgen in den Gräsern am Ufer des Rheins verfing. Sie war so schön, schöner, als dass je ein Schiffer und Flösser ein Wesen gesehen hatte. Sie lächelte und bezauberte jedermann.
Loreley schaute dem Riesen nach, der sie eben noch auf seinen starken Arm genommen hatte und sie fragte, ob sie sein Weib werden und mit ihm in seine Heimat ziehen wolle. Loreley war in ein schallendes Gelächter ausgebrochen, hatte sich wendig aus den Armen des überraschten Rübezahl befreit und hatte sich, wie wenn nichts geschehen wäre, auf den Felsen über dem Rhein gesetzt. Sie hatte ihr blondes Haar mit dem goldenen Kamm gekämmt, und sie hatte gelacht und gelacht.
Sie sah den Riesen mit Tränen in den Augen am Ufer des Rheins stehen, und sie sah, als er - die Sonne hatte bereits die Hälfte ihrer Tagesreise vollbracht - gebückt von dannen zog.
Tag, Wochen zogen ins Land.
Immer öfters kreisten die Gedanken der schönen Loreley um den von ihr zurückgewiesenen Rübezahl. Er war nicht der Erste, den sie verschmäht hatte. Prächtige Prinzen, einfache Bauernsöhne, weitgereiste Kaufmänner, junge Gesellen hatten bereits um ihre Hand angehalten. Und alle hatte sie abgelehnt, wohlmöglich, dass es noch einen Besseren, einen Schöneren, einen ihrer Würdigeren gäbe.
Sie konnte nicht umhin, sich einzugestehen, dass sich ihre Gedanken, länger als ihr lieb war, um den starken Kerl drehten, der sie, einer Feder gleich, auf seine kräftigen Arme gehoben hatte. In Erinnerung daran durchströmte sie ein beruhigendes Gefühl der Geborgenheit und des Behütetseins, so wie sie’s noch nie empfunden.
In ihrer Erinnerung sah sie in seine Augen, wie in dem Moment, nur ganz kurz, als er sie bat, seine Frau zu werden und nichts Falsches oder Arglistiges konnte sie seinem Blick entnehmen.
Nie hatte es ein Bursche gewagt, sei er nun Edelmann oder gemeiner Geselle, sie so freimütig, geradeheraus, ohne Schmeicheleien und Komplimente anzusprechen.
Und so kam es, dass Loreley auf dem Felsen hoch über dem Rhein sass, ihr blondes Haar mit dem goldenen Kamm kämmte und dabei nur an den Riesen dachte, der als bisher einziger gar mutig und unverzagt und gar nicht unterwürfig war, und den sie so schmählich behandelt hatte und ohne ein Wort von dannen ziehen liess. Und je mehr sie über ihn nachdachte, desto mehr entbrannte sie in Liebe zu ihm. Eins wurde ihr jetzt schon gewiss: Sie musste alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn dazu zu bewegen, zu ihr zurückzukommen und ihre, ihrer tiefsten Seele entspringende Entschuldigung anzuhören. Und dann, wer konnte wissen, was dann geschehen würde?
Und also tat sie, was sie tun konnte, und sie begann zu singen, da ihr das Laufen selber unmöglich war. Und ihr Gesang war so schön wie der reine Tag, so hell, wie der hellste Glockenklang, so wunderbar und prächtig, wie noch nie jemand vorher einen gehört hatte. Die Rheinschiffer waren verzückt und lauschten gebannt den unglaublich schönen Klängen, die gefährliche Strömung und die Felsenriffe nicht mehr beachtend. Ihre Schifferboote zerschellten kläglich. Eins ums andere. Sie dachte nur noch an den Riesen, den sie von ganzem Herzen liebte und dem sie mit ihrem Gesang den Weg zu ihr weisen mochte. Tage, Wochen, Jahre zogen ins Land. Loreleys Lächeln, das jedermann bezaubert hatte, verschwand von ihrem Antlitz, und sie wurde traurig und trauriger. Aber ihre Liebe wurde grösser und grösser, und sie nährte Tag um Tag ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen und sie sang und sang. Immerdar.
Warum Rübezahl und Loreley wieder glücklich sind.
Wie so oft in letzter Zeit, erhob sich Warwara mitten in der Nacht, weil etwas sie daran hinderte Schlaf zu finden. Sie schlüpfte in ihre Hausschuhe und stapfte in die Küche, wo in der Mitte des Tisches ein Krug mit einem Kräutersud stand. Manchmal half das bittere Getränk und sie konnte wieder einschlafen. Doch heute, wie so viele Male auch, war dies nicht der Fall. Sie lag wach und hörte, wie immer, von weit her diesen betörenden Gesang, der schön war wie der reine Tag, hell, wie der hellste Glockenklang und so wunderbar und prächtig, wie noch nie jemand vorher so etwas gehört hatte. Warwara wusste, dass es Loreley war, die da sang, und sie wusste auch, dass sie mit ihrem Gesang den Rübezahl herbeilocken und sich bei ihm entschuldigen wollte.
Aber Jahre um Jahre waren ins Land gezogen und Rübezahl zeigte sich nicht am Ort, wo der Rhein seine tiefste und schmalste Stelle hatte. Und immer und immer wieder hörte Warwara den Gesang Loreleys, jenes bezaubernden Wesen, das schön wie der Himmel war, lieblich, mit langem, blondem Haar, dass sie immerfort mit einem goldenen Kamm seidig glänzend kämmte. Ja, das waren noch Zeiten gewesen, als sie selber, jung, gefühlvoll und wunderschön von allen geliebt und bewundert wurde. Mittlerweilen, im fortgeschrittenen Hexenalter war ihr aus ihrer Jugend fast nur noch ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit geblieben.
"Nein, so konnte es nicht weitergehen!" sagte sich Warwara, erhob sich erneut von ihrer Pritsche und begann sich anzukleiden. Ja, ins Riesengebirge wollte sie wandern, um dort dem Rübezahl, den sie bisher erst einmal in ihrem Leben begegnet war, ins Gewissen zu reden. Sie war dem gutmütigen, fröhlichen und aufgeschlossenen Kerl wohlgesonnen - wie der Loreley auch - und sie hatte entschieden vor, etwas für die beiden zu tun.
Sie schnürte ihr Bündel und machte sich schnurstracks auf den Weg, obwohl der helle Tag noch weit entfernt war. Nach vielen Wochen erst erreichte die Hexe das Riesengebirge. Es war schon am Eindunkeln und im Osten, wo die Nacht den Tag schon besiegt hatte, funkelten bereits die ersten Sterne am Himmel. Kaum tauchte der Mond am Horizont auf, sah Warwara den Riesen, der aus dem alten Ziehbrunnen Wasser schöpfte. Wie immer, wenn sie jemanden traf, hexte sie zuerst einen heftigen Windstoss, dann einen nebligen Schleier und sie liess alle Geräusche verbeben. Nur noch das weit entfernte Heulen eines Hofhundes war zu vernehmen. Rübezahl beugte sich hoch und noch bevor er sich umschauen konnte, begann Warwara zu sprechen. "Ich bin's, Warwara, jenes Weib, das dir vor vielen Jahren im Harz über das Leben und Treiben der Hexen, über ihren berühmten Hexentanz, über die Länder rund um den Bergwald, über die langen Flüsse, die diese Länder durchquerten, und über die Wesen, die in ihnen hausten, erzählt hat."
Rübezahl erkannte in dem schwarzgewandeten Weib mit dem Stab in der Hand tatsächlich jene Hexe, die ihm damals auch den Weg zu Loreley erklärt hatte.
Noch bevor er zum Gruss anheben konnte, sprach die Hexe weiter. Sie erzählte von der Reue Loreleys, von ihrem wirklich echten und tiefen Bedauern, weil sie den Riesen abgewiesen hatte. Und sie berichtete von Loreleys Bemühungen, durch ihren Gesang auch Rübezahl anzulocken. Nun, da sie, Warwara den langen Weg ins Riesengebirge selber gegangen war, wusste sie, dass das nicht möglich war, da der Gesang, so betörend dieser auch war, die Entfernung nicht überwinden konnte. Warwara erzählte von der grossen Trauer und von dem Gram Loreleys, die sich in ihr immer wie mehr ausbreiteten, weil der Riese aus dem Riesengebirge nicht auftauchte. Und Warwara sprach und sprach, ohne dem Riesen das Wort zu gönnen. Als sie alles gesagt hatte, was es zu sagen gab, setzte sie sich neben einem Baumstunk auf den Boden. Kaum hatte sie sich an ihn an gelehnt, fielen ihr auch schon die Augen zu. Als sie diese wieder öffnete, war es Tag. Sie musste Stunden um Stunden verschlafen haben. Neben ihr stand ein mit Gepäck und Proviant beladener Karren aus Holz. "Gut geschlafen, Mütterchen", begrüsste Rübezahl, der hinter dem Karren hervortrat, die Hexe freundlich und in einer Manier, wie sie ihm noch vor Jahren eigen war. "Komm, steh auf und stärke dich! Anschliessend werde ich dich auf meinem Wagen in den Bergwald ziehen."
Warwara schaute hoch und erhob sich sanft lächelnd. Sie wusste, dass der gutmütige, fröhliche und aufgeschlossene Rübezahl und die wunderschöne Loreley mit dem langen, glänzenden Haar bald, sehr bald sehr glücklich sein würden. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Riese nicht noch weiter an den Rhein zu Loreley wandern würde. Und sie wusste mit Sicherheit, dass es dann nur noch heissen konnte: "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie immer noch verliebt und glücklich miteinander, der Rübezahl aus dem Riesengebirge und die Loreley vom Rhein."
Barbara