und der Aktienhandel
Vom 20. bis zum 24. November 2024 weilte Elfypsilon in Rio de Janeiro, der zweitgrössten Stadt Brasiliens.
Schon am zweiten Tag besuchte er mit Ramon, dem Sohn seiner Gastfamilie, den Flamengo-Park, wo sie auch das Modern Art Museum von aussen besichtigen konnten. Auf einer Bank gönnten sie sich eine kleine Ruhepause. Elfypsilon erfuhr von Ramon, der als Unternehmensberater arbeitet, einiges über Finanzen, die Börse und das Spekulieren.
Das Gespräch
Elfypsilon: Am G20-Gipfel haben die die 20 grössten Wirtschaftsmächte ihren Willen bekundet, sich künftig für eine wirksame Besteuerung der Superreichen einzusetzen. Müsste man nicht auch dafür schauen, dass sich nicht immer wie grössere Vermögen anhäufen?
Ramon: Dass immer weniger Menschen immer grössere Vermögen anhäufen, während die Mehrheit leer ausgeht, ist ein sehr grosses Problem geworden. Man kann nicht nur eine dramatische Ungleichverteilung des Reichtums beobachten, sondern auch eine technologisch getriebene Kapitalakkumulation. Parallel dazu wächst die Unzufriedenheit in der breiten Bevölkerung.
Elfypsilon: Irgendwie scheint mir, ich hätte über ein ähnliches Phänomen schon einmal gelesen.
Ramon: Ja, eine ähnlich extreme Konzentration des Kapitals in den Händen weniger Familien, so der Rockefellers, Krupps und Rothschilds, gab es in der Zeit vor 1914.
Diese führte zu sozialen Spannungen, zu Massenprotesten und letztlich zum 1. Weltkrieg.
Elfypsilon: Wie kann es überhaupt zu einer solchen Kapitalakkumulation kommen?
Ramon: Das hat vor allem mit der Börse zu tun. Über sie können grosse Unternehmen immer mehr Kapital einsammeln, indem sie Aktien herausgeben.
Elfypsilon: Und was ist die Börse eigentlich?
Ramon: Im Grunde ist die Börse wie ein grosser Basar, auf dem ständig Wertpapiere gehandelt werden. Der Preis einer Aktie wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt.
Wenn viele Investoren eine bestimmte Aktie kaufen, steigt der Preis, weil das Angebot an verfügbaren Aktien schrumpft.
Wenn aber viele Aktien einer Firma verkauft werden, sinkt der Preis, weil nun das Angebot grösser wird.
Das alles passiert digital in Sekundenbruchteilen - doch im Prinzip funktioniert es wie auf einem Markt, auf dem Waren gehandelt werden.
Die Aktien sind grösstenteils im Besitz wohlhabender Investoren. Klein- und Kleinstanleger können zwar investieren, haben aber im Vergleich zu grossen Investoren wenig Einfluss auf den Markt. Sie profitieren nicht im gleichen Mass und machen oft sogar Verluste.
Elfypsilon: Woran liegt das?
Ramon: Der Hauptgrund liegt darin, dass Hedgefonds, Grossbanken und Superreiche agieren und den Markt beeinflussen können, während Kleinanleger nur die Möglichkeit haben, zu reagieren.
Elfypsilon: Heisst das für Kleinstanleger: Hände weg von Plattformen wie Yuh?
Sollten sie es nicht sein lassen und anerkennen, dass es schon immer klüger war, wenn der Schuster bei seinen Leisten bleibt?
Ramon: Das Positive an Plattformen wie Yuh ist, dass sie den Aktienmarkt für alle zugänglich machen. Damit hat es sich aber.
Kleinanleger sollten sich bewusst sein, dass sie immer im Nachteil sind. Sie haben weniger Informationen als grosse Investoren, können nicht so schnell handeln und sie sind stärker von Marktschwankungen betroffen.
Das bedeutet nicht, dass man als Kleinanleger gar nicht investieren sollte - aber man sollte es mit Vorsicht und Strategie tun. Langfristiges Investieren in solide Unternehmen oder breit gestreute ETFs, also börsengehandelte Fonds, können eine Möglichkeit sein, um nicht direkt gegen die Grossen zu spielen und unnötige Verluste zu vermeiden.
Elfypsilon: Spielen?
Ramon: Ja, wahrscheinlich wäre "antreten" das bessere Verb. Aber ich weiss nicht warum - immer wenn ich an die Börse denke, kommt mir ein riesiges Casino in den Sinn, besonders dann, wenn sie nicht mehr der Finanzierung von Unternehmen dient, sondern nur noch dazu, Finanzakteuren schnelle Gewinne zu ermöglichen.
Elfypsilon: Das, was du beschreibst, hat ohne Zweifel auch mit Moral und Ethik zu tun oder besser gesagt: mit fehlender Moral und Ethik.
Ramon: Genau. Die Börse ist an sich nicht schlecht - sie kann Unternehmen finanzieren und wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. Aber sobald es nur noch um Spekulation, Marktmanipulation und schnelle Profite geht, rücken Moral und Ethik in den Hintergrund. Dann zählt nicht mehr, ob eine Firma etwas Sinnvolles produziert oder ob sie ihre Mitarbeiter fair behandelt, sondern nur noch, ob ihr Aktienkurs steigt.
Elfypsilon: Aber jeder Aktionär ist ja mit seinem Wertpapier Mitbesitzer einer Firma und als solcher auch dafür verantwortlich, dass das Unternehmen ethisch handelt, faire Löhne zahlt und nachhaltig wirtschaftet.
Ramon: Leider nehmen in der Realität viele Aktionäre diese Verantwortung nicht wahr - oft, weil sie nur kurzfristige Gewinne im Blick haben oder gar nicht wissen, wie die Firmen, in die sie ihr Geld fliessen lassen, ihre ethische Verantwortung wahrnehmen.
Elfypsilon: Es gab doch jemanden, der die Börse als Symbol für Entfremdung und unmenschliche Mechanismen, die die Menschen zu Zahlen in einem System reduzieren, gesehen hat.
Ramon: Ja, das war Jean-Paul Sartre. Der französische Schriftsteller und Philosoph war aber nicht der Einzige. Es gab und gibt viele bedeutende Kritiker der Börse. Es wird vor allem die Spekulation und die Manipulation der Märkte kritisiert, weil diese den Reichtum in den Händen weniger konzentrierten und soziale Ungleichheit verstärkten.
Elfypsilon: Ich muss noch einmal auf das Einsammeln von Kapital via Aktien zurückkommen. Was bewirkt ein solche Kapitalaufnahme?
Ramon: Wenn ein Unternehmen Aktien ausgibt, sammelt es Geld von Investoren ein, ohne dafür einen Kredit aufnehmen zu müssen. Dadurch ist es nicht mehr nur sich selbst verpflichtet, sondern auch seinen Aktionären.
Genau hier liegt das eigentliche Dilemma: Ein Unternehmen kann nicht "zwei Herren gleichzeitig dienen" - einerseits dem langfristigen Erfolg der Firma, andererseits den kurzfristigen Erwartungen der Aktionäre. Börsennotierte Firmen stehen ständig unter Druck, Quartalszahlen zu liefern und den Aktienkurs hochzuhalten, auch wenn das langfristig dem Betrieb schaden kann.
Viele Unternehmen setzen dann lieber auf riskante Entscheidungen, statt auf nachhaltiges Wachstum, stabile Geschäftsmodelle oder soziale Verantwortung.
Elfypsilon: Das Problem liegt also im Prinzip in den Aktien selbst?
Ramon: Ja, zumindest teilweise. Aktien an sich sind nichts Schlechtes. Sie ermöglichen, dass Unternehmen sich Kapital verschaffen, ohne sich zu verschulden. Aber das Problem entsteht, wenn der Aktienmarkt nicht mehr der Finanzierung von Unternehmen dient, sondern von Spekulanten dominiert wird, die nur auf schnelle Gewinne aus sind. Dann verliert das ursprüngliche Prinzip seinen eigentlichen Zweck.
Elfypsilon: Dann hätte der G20-Gipfel sich auch das Ziel setzen müssen, gegen diese Spekulation anzugehen?
Ramon: Ich denke, das das kaum möglich ist. Die Spekulation ist ein fester Bestandteil des Systems. Solange es den freien Markt gibt, lässt sich die Spekulation nicht abschaffen. Man könnte zwar Regeln aufstellen, um extreme Spekulation zu begrenzen - etwa durch höhere Steuern auf Finanztransaktionen - aber völlig abschaffen liesse sich die Spekulation nicht.
Elfypsilon: Wenn kein Gesetz der Welt etwas hilft, dann kann nur jeder einzelne etwas bewirken.
Ramon: Wie meinst du das, Elfypsilon?
Elfypsilon: Man kann sich selber das Prinzip setzen, nicht zu spekulieren oder sich an spekulativen Geschäften zu beteiligen.
Ramon: Ja, das wäre die bewusste Entscheidung, ethisch zu investieren, anstatt einfach nur auf schnelle Gewinne zu setzen. Aber wie kann man sicher sein, dass das eigene Geld wirklich nicht in Spekulation landet? Wer wirklich sicher sein will, dass sein Geld nicht für Spekulation genutzt wird, muss genau prüfen, wo es angelegt wird. Das ist aber äusserst kompliziert, vor allem, wenn man nicht vom Fach ist - und das sind wir - ausser den echten Finanzprofis, den Börsenexperten und den Insidern alle. Im Übrigen sind auch ChatGPT und andere KIs Laien.
KIs können zwar Informationen liefern, analysieren und Muster erkennen, aber echte Marktkenntnis und Entscheidungsfähigkeit sind noch einmal etwas ganz anderes.
Elfypsilon: Ramon, ich danke dir ganz herzlich für das lehrreiche Gespräch.
Ramon: Gern geschehen, Elfypsilon. Es ist gut, solche Fragen zu stellen, denn nur, wer das System versteht, kann bewusste Entscheidungen treffen.
Barbara