Meine 10-jährige DIY-Geschichte
Heute vor genau zehn Jahren, am 23. Dezember 2007, schrieb ich die Geschichte "Reflexionen eines Kapuans", die aus der Perspektive eines gemästeten und für die Feiertage vorbereiteten kastrierten Hahns erzählt.
Reflexionen eines Kapuans
Eins müsst ihr wissen: Das Leben eines Kapuans ist kein Körnerschleck. Zuckerschleck sagt ihr Spezies. Ich nenne euch Spezis. Menschen ist mir zu menschlich. Ob jetzt Zucker oder Körner, ist eh alles Wurst, wenn’s endgültig an den Kragen geht.
Was? Ihr seid immer noch der Meinung, das Leben des Federwiehs sei ausgeharnischt, wenn ihr ihm genüsslich den Hals durchschneidet? Das glaubten vielleicht die Spezis, die unserseins als Haustiere stallfähig machten. Das war damals, als sie in ihrer Freizeit in riesigen Steinkreisen umherhopsten. Für uns Hähne war dies der zweit-grausamste Abschnitt unserer Kulturgeschichte. Erst noch konnten wir als freie Flattertiere das Leben geniessen, und dann wurde es unser wohl immerwährendes Schicksal als eingekerkerte Stallinsassen den Spezis als Fressen dienen zu müssen. Ihr sagt dem „essen“, ich nicht. Punkt.
Ja, und dann war’s damals, wenn man mit heute vergleicht, noch echt gut. Geil, wie ihr Spezis sagt. Keiner von euch wäre damals auf den Gedanken gekommen, uns unserer ehrwürdigen Hahneswürde zu berauben, uns den stolzen Kamm und die Bartlappen - schnipp-schnapp - wegzuschneiden.
Operieren nennt ihr das. Möchte mal schauen, wenn wir euch männlichen Spezis den ... Was, ich soll aufhören? Greulich, schrecklich, unmenschlich, sagt ihr. Na, ja, wo ihr Recht habt, habt ihr Recht.
Eben, das machten die Spezis damals noch nicht. Damals konnten wir noch Hähne sein! Wunderbar anzuschauen mit unserem prächtigen Kamm, dem tollen Bartlappen und den bunten, langen Federn und mit gesunder Farbe im Gesicht und - lange, lange lebend. Heute werden wir nach wenigen Wochen schon abgemurkst. Ist eh alles Wurst. Oder meint ihr etwa, das mache uns Kapuanen etwas aus! Das, was ihr so grossspurig Würde nennt, habt ihr uns genommen. Bleich sehen wir aus. Nein, nein, nicht etwa, weil wir euer Schafott fürchten. Furcht kennen wir nicht. Die Blässe verdanken wir dem, was ihr OP nennt. Die - ha, ha, da seid ihr dann pingelig - die Operation wird nur von Tierärzten vorgenommen. Und das alles auf nüchternen Magen.
Schön ist es, nüchtern zu sein. Ehrlich, glaubt mir's. Der Einfallsreichtum eurer Spezies kennt keine Grenzen. Nun diesem Eingriff, der uns nicht nur das Innere was mit am meisten Spass bereitet hätte, werden wir mit Fressen vollgestopft. Stopf, stopf. Ja, liebes Kapäunchen, denke doch nur an die armen Tierchen in Afrika. Die haben nicht zu essen, also friss schön den Fütterchen und sei ein braves Kerlchen. Und Kapäunchen frisst und frisst und frisst. Und Kapäunchen hat keine Hühnerchen mehr um sich. Ja, manchmal geht einem das Gegackere ja schon echt auf den Keks, aber wenn’s fehlt, ist auch nicht gut. Und fehlen tut’s, weil wir nun die untersten in der Hackordnung sind. Ja, ich weiss, bei euch Spezis gibt es auch unterste in der Hackordnung. Nichts da von ausgleichender Gerechtigkeit.Eins aber ist toll: Ihr Spezis verpasst uns einen wunderbaren Namen. Kapuan. Nicht ordinär und gewöhnlich wie „Hahn“. Kapuan. Lasst doch das Wort mal auf der Zunge zergehen. Ja, gut, dass könnt ihr Spezis nicht. Wörter auf der Zunge zergehen lassen ist nicht eure Spezialität.
Das macht ihr schon lieber mit uns selbst. Weiss zwar kein Federvieh, was ihr an Fleisch mögt, das weiss und mild und fett ist. Fett! Fett! Ihr sagt dem Genussteigerung!
Kapuan. Klingt doch irgendwie wie Faun. Göttlich! Ihr Spezies habt uns einen göttlichen Namen verpasst. Schade, dass wir keine göttlichen Wesen sind! Denn dann würdet ihr uns wohl kaum fressen.
Aus mir wurde eines frühen Morgens, schnipp schnapp, ein Kapuan. Und etwas später ein kaputter Kapuan. Und noch etwas später ein einbalsamierter Kapuan. Ihr Spezies seid ihr schon wahre Künstler. Kapuan statt der Todgeweihte, ins Bratrohr schieben statt dem Ende entgegenschmoren, verspeisen statt den endgültigen Todesschoss geben. Ja, liebe Spezies, ihr lest richtig. Erst, nachdem ihr unser Fleisch genüsslich auf euren Vierzincken gestochert habt, es dann zwischen eure Beisser gesteckt, dort zermahlt und zu Pampe zerdrückt habt und es dann in eurem Schlund verschwunden ist, erst dann haben wir unser endgültiges Ende gefunden.
Barbara