Dienstag, 11. März 2025

Damals im Frühling

Meine DIY-Geschichte aus dem Mittelalter


Dieses Bild inspirierte mich zu einer Mittelalter-Geschichte.


Zwei bereits bekannte Charaktere aus meinem Blog spielen in der Geschichte eine zentrale Rolle.
Da wäre einmal Warwara, jene Hexe aus dem Harz, die letztlich dafür verantwortlich war, dass Rübezahl und Loreley ein Paar wurden.
Und da wäre Graf Ludwig von Schauenburg, der legendäre Erbauer der Wartburg.

Rübezahl und Loreley - Mein DIY-Märchen in drei Teilen

Der alte Fuchs - Mein "fuchsiger" DIY-Text über den Grafen Ludwig


Damals im Frühling


Wie so oft in letzter Zeit, verliess Warwara, noch vor Sonnenaufgang das Bett, denn sie hatte genug geschlafen. Sie legte sich den dicken wollenen Umhang über, schlüpfte in die gefilzten Pantoffeln und stapfte zur Feuerstelle. Sie nahm einige feine Holzspäne aus dem Reisigkorb und schichtete diese gekonnt zu einer kleinen Pyramide. Dann holte sie vom Gestell, das sich über der Wasserstelle befand, die Dose mit dem Zunderschwamm-Pulver. 
Einige Prisen davon streute sie über das Holz. Nun war es ein Leichtes, das Feuer zu entfachen. Warara fügte Brennholz hinzu und hängte einen Topf mit Wasser an dem Haken über dem Feuer auf. Bald würde sie ihren Morgentee geniessen können.
Sie setzte sich an den Tisch und obwohl die Morgentemperaturen immer
 noch tief lagen - es war erst Ende April, spürte sie bereits etwas Wärme vom Feuer. 
Noch während sie auf das Kochen des Wassers wartete, schweiften ihre Gedanken ab.

Es geschah in einem Frühling, vor vielen, vielen Jahren. Die Kirschbäume waren in voller Blüte und die Wiesen hatten sich in bunte Blumenteppiche verwandelt. Damals war Warwara noch 
jung und sehr schön. Sie wurde von allen geliebt und bewundert. Lange bevor sie sich als Hexe in den Wald zurückzog, verdiente Warwara ihren Lebensunterhalt als begabte und vielbejubelte Sängerin, die mit einer Gruppe von Spielleuten unterwegs war. Ihre Gruppe sollte eben in diesem Frühling an einem grossen Musikwettbewerb teilnehmen, zu dem der Graf Ludwig von Schauenburg einlud. Fast gleichzeitig mit einer anderen Gruppe von Spielleuten trafen sie auf der Wartburg ein.
Und da sah sie ihn!
Er hatte dunkle Haare, die lang und gelockt auf sein blaues Wams fielen. Das weisse Hemd liess seine gebräunten Unterarme hervorschauen. Seine Beinlinge wurden von einem breiten Gürtel geziert. Schlicht und ohne Absätze waren die Schuhe. Er trug einen Dudelsack am Rücken.
Und er war schön! Er war der begehrenswerteste Mann, den Warwara je gesehen hatte. 

Das Wasser im Topf kochte und Warwara wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen. Sie holte den Topf und goss sich ihren morgendlichen Kräutertee auf. Mit einem Stück altbackenen Brot, das sie aus dem Brotkasten geholt hatte, setzte sich wieder an den Tisch.

Am Abend des gleichen Tages gab es den ersten Teil des Wettbewerbs. Es waren fünf Gruppen, die nacheinander auftraten und mit ihrer Musik die Anwesenden begeisterten. Besonders gross war der Applaus für Warwara, die, gekleidet als Minnesänger, ein melancholisches Tagelied zum besten gab. Das Lied, das den Abschied der Liebenden bei Tagesanbruch zum Inhalt hatte, rührte selbst den bärbeissigen Grafen, der sichtlich bewegt war.

Warwara, die gerade den letzten Bissen Brot heruntergeschluckt hatte, gestand sich ein, dass sie bereits während ihres Gesangs wusste: Das, was das Lied besang, würde schon sehr bald ihre eigene Geschichte werden.

Am nächsten Morgen fiel ihr der Abschied vom Dudelsackspieler schwer. Während der zwei Wochen, die sie auf der Wartburg verbrachten, lernte sie den blauäugigen Lucian nicht nur als hingebungsvollen Liebhaber, sondern auch als klugen und mitfühlenden Menschen kennen. Um so schwerer war der Abschied an jenem Tag im Frühling, an dem die Spielleute die Burg wieder verlassen mussten. Obwohl die Gruppe, der Warwara angehörte, zur besten gekürt wurde, freute sich die junge Sängerin nicht, denn der Trost, dass sie ihren Liebsten erst in einem Jahr wieder auf der Wartburg sehen würde, war in diesem Moment zu klein.

Barbara